23h Zug
Jaa, wir waren mutig. Naja, in China mutig zu sein, ist nicht schwer. Mutig die chinesischen Gerichte vom Straßenstand zu probieren. Mutig sich zu einem chinesischen Taxifahrer ins Taxi zu setzen. Mutig gegen Chinesen um einen Platz in der Straßenbahn zu kämpfen. Ja, das ist mutig.
Aber 23h mit Chinesen in einem Zug zu sitzen, das ist noch mutiger.
Chinesen, die wenig Geld besitzen, wählen (anstatt zu fliegen) die günstigere Alternative: den Zug. Er ist das günstigste Massentransportmittel. In unserem Fall gestern: Der Zug voller Chinesen und 2 Ausländer.
Vorher muss man aber hinzufügen, Reisen in China ist sicher. Selbst auf den Chinesischen Bahnhöfen kommt nur der rein, der ein gültiges Ticket hat. Das Ticket muss man am Schalter kaufen. Ab 4 Tage vorher ist das Ticket verfügbar und kann gekauft werden. Das heißt aber oftmals in der Schlange stehen und Warten. (in Guilin 1h für unsere Tickets), denn Tickets sind begehrt und knapp. Natürlich haben wir wieder den Schlafzug gewählt, denn 23h auf dem Hartsitz, zwischen 2 Chinesen eingequetscht zu sitzen, wollten wir nicht.
Auf den Bahnhöfen, nach der 1. Ticketkontrolle, wird das Gepäck durch einen Sicherheits-Check gelassen. (wie auf dem Flughafen.), und man persönlich wird abgetastet und muss durch einen Körperscanner. Danach den richtigen Warteraum finden, evtl noch einen Sicherheitscheck fürs Gepäck und eine Ticketkontrolle vor den Warteräumen. (Falls man einen der großen Richtungsweiser für die Züge übersehen hat.)
Der Warteraum ist natürlich immer voll mit Chinesen gefüllt, am besten man kommt 2-3h vorher, sodass man einen Platz erhält und nicht mit seinem Gepäck stehen muss. (Ja, eher kommen und warten, um beim Warten auf den Zug einen Platz zu bekommen) 

(Leider hab ich in Guilin kein Foto gemacht. Dieses Bild ist von unserem Suzhou-Ausflug im Dezember 2010)
Und nun kann man sich sicherlich vorstellen, wie es aussieht, wenn 2 Ausländer in den Warteraum kommen. Aus allen Ecken hört man „Laowai“ oder „Waiguoren“ (=Ausländer) und jeder dreht sich um. Der Warteraum ist durch ein Gitter zur Überführung zu den Zügen abgetrennt, deswegen setzen wir uns, wenn wir zeitig da sind und noch die Auswahl haben, ganz vorn ans Gitter um dem Gedrängel und Trubel zu entgehen. Da die Lehnen der Sitzbänke höher waren, konnte man uns in den anderen Reihen nicht sehen. Somit standen schon nach wenigen Minuten die ersten Chinesen aus den anderen Reihen auf, um sich zu vergewissern, dass dort wirklich 2 Ausländer sitzen. Ich glaube, das werde ich in Deutschland nicht vermissen. Gerade auf dem Bahnhof oder im Restaurant ist es nicht nur ein Anschauen, sondern ein Anstarren.
Und wohl das Schlimmste, was passieren kann: Eine schwache Blase auf dem Bahnhof. Dass es in China Löcher gibt, daran sind wir nun gewöhnt. Aber auf Bahnhöfen gibt es Rinnen, besser gesagt, eine Rinne. Der Rest ist gut vorstellbar. 
15 min bevor der Zug losfährt, wird eine Durchsage gemacht, dass die Gittertüren bald geöffnet werden. Die Durchsage wurde noch nicht beendet, schon springen alle, ja wirklich alle Chinesen auf, so schnell wie möglich das Gepäck zusammen gesucht (die meisten Chinesen benutzen große Plastetaschen. Es gibt auch noch einige, die sich ein Bambusrohr über die Schultern legen, an beiden Enden hängt das Gepäck bzw die Tüten) und schon geht das Geschubse los. Warum auch anstehen, man kann doch drängeln!?
Zum Glück stehen wir schon vorn am Gitter
Sobald das Gitter geöffnet wird, rennen die Chinesen los. Warum eigentlich? Auf jedem Ticket steht die Sitz-oder Bettnummer drauf, jeder bekommt seinen Platz. Aber das ist egal. Als erstes drin, ist als erstes drin.
Das Hindernis gestern: kam man aus der Tür des Warteraumes befand sich eine Treppe. In voller Eile oder einfach im Wahn in den Zug zu kommen (in welchem man einen reservierten Platz hat!!!!) hingen viele Chinesen auf den Treppenstufen mit dem Rollkoffer oder den schweren Tüten fest. Und von hinten wird weiter geschubst. (Warum nur, es kommt jeder rein!?)
Bevor man in den Zug einsteigt, wird zum 3. Mal das Ticket kontrolliert.
Drinnen ähnelte der Zug dem letzten von Hong Kong nach Guilin. Nur diesmal lag Hedi im Abteil nebenan und ich hatte das Bett in der Mitte. Diesmal ohne Leiter. 

(Abteile, jedoch der Zug von Hong Kong nach Guilin)
Irgendwie hoch ins Bett gestiegen, hab ich auf die anderen Personen gewartet, die mit mir im Abteil schlafen sollten. Es ist ein komisches Gefühl auf der Liege zu schlafen/zu liegen, die weiße Bettwäsche ist nicht mehr so weiß, wie sie mal war und ob sie wirklich gewaschen wurde, wer weiß, wer weiß…
Mir gegenüber lag eine Chinesin (etwa 35Jahre), darunter die Mutter. Unter mir eine andere Frau. Die Mutter hat ohne Rücksicht in einer wahnsinnigen Lautstärke gesprochen, die Tochter in der Zwischenzeit schon 3mal lautstark gerülpst. Die Chinesin unter mir hat versucht ihren Koffer zu verstauen. Aber wo? Unter die Liege hat er nicht gepasst. Er war zu groß. Nachdem sie sich wenigstens ihre Schuhe ausgezogen hat, um auf meine Liege zu steigen, hat sie es nach 10 min geschafft den Koffer auf die Liege über mir zu legen. Die obersten Liegen waren diesmal nicht belegt. Entweder lag es an der fehlenden Leiter um hinaufzukommen oder an Sicherheitsmaßnahmen, da die Betten durchweg geknarrt haben. (Die chinesischen Baugerüste bestehen aus Bambus. Soll es da im Zug Sicherheitsmaßnahmen geben!?
)
Kaum ging die Fahrt los, hat sich die Mutter eine Plastetüte mit gekochten Nudeln aus der Tasche geholt, dazu noch einen Beutel mit einer Gewürzmischung, eine Schüssel, und rührte nun alles mit den Händen zusammen. Heißes Wasser aus einem Automaten gab es im Zug, um das Gericht zu erhitzen. Mit lautem Schmatzen (was man übrigens auch überall im Restaurant hört, von jedem Nachbartisch, sowiem lautes rülpsen), und Nudeln schlürfen startete die Fahrt. Und sie hat geredet. Nicht nur mit vollem Mund. 3h ununterbrochen. Da beide Frauen von einem kleinen Dorf kamen, sprachen sie einen Dialekt, und ich habe nix verstanden. Es war einfach nur laut. Im Abteil nebenan, da wo Hedi lag, war eine chinesische Familie, mit 2 kleinen Kindern, eins davon war krank. Es schrie die ganze Zeit. Auch die ganze Nacht. Und nun weiß ich auch, warum die eine Chinesin darauf bestand ihren Koffer unbedingt hoch aufs Bett zu legen, anstatt ihn neben ihren Füßen, auf dem Boden stehen zu lassen: Ich hörte wie der erste Chinese seine Flüssigkeiten in der Kehle, im Mund, wo auch immer, hochzog und auf den Gang ausspuckte. Dann der nächste. Das Kind weinte weiter, die Mutter erzählte, erzählte, erzählte und von links und rechts hörte man Chinesen spucken. Wenigstens war die Mutter mit den Nudeln fertig. Naja, nun nahm sie sich ein Zuckerrohr (was es bei jedem Obsthändler zu kaufen gibt), biss ein Stück ab, kaute darauf rum, (oder schmatzte, was es besser beschreiben würde), zog die süße Flüssigkeit, und spuckte das zerkaute Stück aus. (Zum Glück auf einen Teller). So ging es die nächsten Stunden.Reden/Schreien, Schmatzen, Weinen, Spucken.
Da wir über Nacht gefahren sind, kamen spätestens gegen 12 Uhr alle zur Ruhe, bis auf das weinende Kind. Es weinte noch lauter. Und die Eltern hat es nicht interessiert.
Morgens halb 7 wurde ich durch das Reden der Mutter wach, die neben meinem Kopf stand, aus dem Fenster sah und mit ihrer Tochter sprach. Halb 7! Nachdem ich die Nacht sowieso schlecht geschlafen hatte, und jedes Mal gehofft habe, dass der Zug heil weiterfährt, da es aller paar Minuten ganz schrecklich gerüttelt hat und ich mich am Bett festhalten musste, um nicht rauszufallen, war ich wirklich total k.o. . Und schon hat die Mutter wieder die Plastiktüte aufgemacht und Nudeln und Gewürze zusammengemischt. Mmmmmh, lecker, Nudeln morgens halb 7. (Aber die Chinesen frühstücken immer warm und herzhaft). Bei der Chinesin unter mir gab es getrocknetes Fleisch. Um 9 kam Hedi, damit wir wenigstens mal Zähne putzen und die „Toilette“ aufsuchen konnten. Die Waschbecken sollte man nicht benutzen, da die meisten Eltern, anstatt mit ihren Kindern vor der Toilette anzustehen, die Kinder hochheben und ins Waschbecken „Pipi machen“ lassen. Naja, und das Toilettenloch möchte ich auch nicht näher beschreiben. Zurückgekommen hat dann auch der letzte im Zug mitbekommen, dass es 2 Ausländer gibt, und somit schauten viele Köpfe aus den Abteilen heraus. Wir haben uns schon gewundert, warum das kleine Kind in Hedis Abteil so ruhig war. Da kam es um die Ecke mit Frühstück. Mmmmh, lecker, morgens um 9 ein Hühnerfuß. Und kaute strahlend und lachend darauf herum. Naja, die restliche Fahrt verlief nicht anders, neben Gespucke, Kindergeweine, Blicken von Chinesen.
Nach 23h sind wir endlich angekommen. Fazit: Es war eine Erfahrung wert. Mutig.